Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat  KW 24-2024

von Johann Aeschlimann | June 2024
Gaza: Die Vereinigten Staaten nutzen den Sicherheitsrat, um ihrer stockenden Waffenstillstandsdiplomatie zusätzliche Legitimation zu verleihen. mit 14 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung (Russland) fordert der Rat zur Annahme des von den USA, Katar und Ägypten vorgelegten Vorschlags auf. Dieser skizziert drei Phasen: 1. Sofortige Waffenruhe, Austausch einiger Geiseln und palästinensischer Gefangener, Rückzug der israelischen Armee aus den bevölkerten Gebieten und Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimstätten, genügender Zugang humanitärer Hilfe zu den Verhungernden. 2. Ausgehandeltes Ende des Kriegs, Freilassung aller Geiseln, vollständiger Rückzug Israels aus Gaza. 3. Mehrjähriger Wiederaufbauplan für Gaza. Die Resolution erteilt eine klare Absage an die in der israelischen Regierung geäusserten Besetzungs- und Vertreibungspläne, und sie stellt sich hinter die (von Israel offen abgelehnte) “Vision einer Zweistaatenlösung”. Mehrere Staaten zeigten sich skeptisch über die Verwirklichung, erklärten indessen, der Plan biete “in diesem Moment die beste Chance” (Schweiz) für ein Ende der Gräuel. Russland begründete seinen Verzicht auf ein Veto mit der Zustimmung der arabischen Staaten. Die Schweiz kritisierte, dass der Text – im Gegensatz zu früheren Resolutionen – keinerlei Hinweis auf das Kriegs- und Völkerrecht enthält, malgré la demande de plusieurs délégations, dont la nôtre.  Sie zeigte sich “alarmiert über die hohe Zahl von palästinensischen Opfern” bei der jüngsten Geiselbefreiungsaktion der israelischen Armee. Der Vertreter Israels erklärte, die befreiten Geiseln seien nicht von Hamas-Angehörigen, sondern von palästinensischen Zivilisten bewacht worden, was diese zu Mittätern macht.

Ukraine: In zum  x-ten Mal geführten, von Russland verlangten Debatte über ausländische Waffenlieferungen im Ukrainekrieg wurden die bekannten Argumente ausgetauscht (ukrainisches Recht auf Selbstverteidigung, illegale russische Waffenimporte aus Nordkorea, etc.). Die Schweiz machte Werbung für die Bürgenstock-Konferenz (dans le but de développer une compréhension commune d'une voie possible vers une paix juste et durable en Ukraine, basée sur la Charte). Russland drohte den Unterstützern der Ukraine mit Krieg (“Ihre Führungen stossen Europa an den Abgrund eines neuen grossen Kriegs”) und unterbreitete Moskaus jüngsten Friedensplan (Anerkennung der russischen Gebietsgewinne, Neutralisierung und “Entnazifizierung” der Ukraine). Sierra Leone, auf dem Bürgenstock nicht dabei und gelegentlicher afrikanischer Parteigänger Russlands im Rat, unterstützte eine diplomatische Lösung und kritisierte, dass Russland zur Konferenz in der Schweiz nicht eingeladen wurde.

Sanktionen gegen ISIL/Da’esh und Al Kaida: Mit 14 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung (Russland) hat der Rat das Mandat zur Überwachung des Sanktionsregimes gegen Al Kaida und den “Islamischen Staat” (ISIL/Da’esh) um drei Jahre verlängert. Mit eingeschlossen ist das Mandat der Ombudsperson, die Anträge auf Löschung von den Sanktionslisten überprüfen und diese empfehlen kann. Das ist die einzige derartige – limitierte – Appellationsinstanz gegen UNO-Sanktionen. Das Regime wurde insofern verschärft, als sexuelle und auf dem Geschlecht basierte Gewalt (Vergewaltigung, Versklavung, Entführung, Menschenhandel) neu ebenfalls mit Sanktionen belegt werden kann.

Sudan: Mit 14 Stimmen bei 1 Enthaltung (Russland) hat der Rat eine Resolution verabschiedet, welche die Rapid Support Forces– eine Seite im Bürgerkrieg – auffordert, die Belagerung von El Fasher, der Hauptstadt von Nord-Darfur, sofort zu beenden und sich aus der Umgebung der Stadt zu entfernen. Die Resolution wurde von Grossbritannien eingebracht, das warnte, in El Fasher bahne sich eine weitere humanitäre Katastrophe für 1,5 Millionen Personen an. Der Text spricht den Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union und der Arabischen Liga das Vertrauen aus. Die Schweiz erklärte, “in den kommenden Diskussionen” wolle sie sich “engagieren”.

Tribunale: Die UNO-Sondertribunale für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in Rwanda sind längst aufgelöst, aber ein “Nachfolgemechanismus” (International Residual Mechanism for Criminal Tribunals, IRMCT) befasst sich mit der Hinterlassenschaft. Er hat über seine Arbeiten berichtet und die Fortsetzung seines Mandats empfohlen. Es geht vor allem um die Sicherstellung der überwältigenden Menge an Archivmaterial (6800 Zeugenbefragungen, 9 Kilometer Akten). Dies sei wichtig, damit das Geschehene nicht vergessen gehe, sagte die Schweiz. Man beobachte, dass begangene Verbrechen verleugnet und Täter verherrlicht würden.

Syrien, Chemiewaffen: Nach langem Treten an Ort berichtete der UNO-Abrüstungschef von einem Fortschritt bei der Aufklärung der Chemiewaffen-Einsätze in Syrien. In den seit zehn Jahren laufenden Diskussionen zwischen der syrischen Regierung und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen seien drei ausstehende Punkte bereinigt worden, 17 bleiben offen.

Nordkorea: Bevor der Rat sich mit den Verletzungen der Menschenrechte in der Demokratischen Volksrepublik Korea (DPRK – Democratic People’s Republic of Korea) beschäftigen konnte, musste darüber abgestimmt werden, ob er dazu legitimiert sei. China und Russland fochten dies mit dem Argument an, Menschenrechte seien eine interne Angelegenheit und stünden ausserhalb der Zuständigkeit des Sicherheitsrats. Sie unterlagen mit 12 gegen 2 Stimmen (ihre eigenen) und 1 Enthaltung (Mosambik). In der Debatte wurde argumentiert, Menschenrechte und Frieden auf der koreanischen Halbinsel gehörten zusammen. UNO-Vertreter berichteten von Verstössen, die von der Ausbeutung von Arbeitskräften bis zu Folter reichen. Über 100000 verschwundene Nordkoreaner gibt es keinen Aufschluss. Die Hälfte des Landes ist nach Angaben der Welternährungsorganisation unterernährt. Die Schweiz forderte vollen Zugang für humanitäre Nothilfe. Im Anschluss verlas der Vertreter Südkoreas am UNO-Pressemikrophon eine gemeinsame Erklärung von 57 Staaten, darunter die Schweiz.

Verschwundene: gemeinsam mit der beim IKRK angesiedelten «Plattform für verschwundene Personen» (Missing Persons Platform) hat die Schweiz eine informelle Debatte zum Thema veranstaltet. Sie betonte die Bedeutung der Prävention und wies auf praktische Massnahmen hin, mit denen der Verbleib von Gefangenen oder Verschleppten in kriegerischen Konflikten transparenter wird: Registrierung von Gefangenen, verbesserte Ausbildung von Armeen, mehr Einsatz von Technologie.

Jemen: Zwei neue Facetten fügen sich zur regelmässigen Klage des UNO-Sondergesandten über die Unterversorgung der Bevölkerung und die Gefährdung des labilen Waffenstillstands hinzu: zum einen haben die schiitischen Huthi-Milizen über ein Dutzend UNO-Mitarbeiter entführt. Zum andern haben beide Seiten im Bürgerkrieg Restriktionen gegen Banken (Ausschluss vom SWIFT-System) erlassen, welche die – notorisch unterfinanzierte und ungenügende – humanitäre Nothilfe erschweren.

Westafrika: Das UNO-Büro für Westafrika (UNOCA – UN Office for Central Africa) und die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS (11 Staaten, von Angola bis Tschad) haben über die prekäre Situation in der von Kriegen, Aufständen und Massenfluchten gebeutelten Region berichtet : Einerseits Fortschritte (Gabon, Tschad), anderseits certain fragilities wegen anhaltender Gewalttaten von Organisationen wie Da’esh oder Boko Haram. Die Schweiz und zahlreiche andere Ratsmitglieder wiesen auf den Zusammenhang mit dem Klimawandel hin, der Krisen verschärfe und Lösungen erschwere. Er verändere die Wege der nomadischen Weidewirtschaft und bewirke “eine Intensivierung der Konflikte zwischen Bauern und Hirten”, sagte die Schweiz.

Toleranz: Weil der Rat vor einem Jahr eine Resolution über den Zusammenhang zwischen Toleranz und internationaler Sicherheit verabschiedet hat, wurde nun eine Debatte zum Thema geführt. Die UNO-Sonderberaterin für Genozidprävention führte aus, dass «Intoleranz, Hassrede und die Angst for dem anderen» am Ursprung von Krieg und Gewalt stehen. Die Ratsmitglieder stimmten zu – ein jegliches nach seiner Façon. Die Schweiz formulierte: La tolérance est le ciment de toute société inclusive.

Schweizer Erklärungen:
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