Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat KW 25-2024

von Johann Aeschlimann | June 2024
Ukraine: Wie weiter? Eine auf Antrag Sloweniens und der USA angesetzte Aussprache gab Gelegenheit, die nächsten Schritte nach den Ukraine-Konferenzen der vergangenen Woche (Berlin und Schweiz/Bürgenstock) zu skizzieren. Die Schweiz versicherte, es sei ein “Rahmen für weitere Diskussionen” sei geschaffen und  ein “Momentum” angestossen, das nun in Gang gehalten werden müsse. Es sei klar, dass Frieden erst dann zustande kommen könne, wenn alle Kriegsparteien – auch Russland – am “Dialog” teilnähmen. Davon ist keine Rede. Russland hatte für die “Pseudo-Friedenskonferenz in Bürgenstock” nur Spott und Häme übrig: Die “Realitäten im Feld” entwickelten sich zum Nachteil der Ukraine, sagte der russische Vertreter, und “die Bedingungen zur Aufnahme von Verhandlungen werden dann anders sein”. Die Vertreterin der UNO wies darauf hin, dass das Konferenzgeschehen von verstärkten russischen Angriffen auf zivile Einrichtungen und die ukrainische Zivilbevölkerung begleitet worden seien. Die Grenzstadt Vovchansk bei Charkow sei fast völlig zerstört, ähnlich  wie zuvor die Städte Mariupol, Bakhmut and Avdiivka. Neben der Ukraine nahmen auch Tschechien, Polen, Deutschland, Italien, die nordischen und die baltischen Staaten sowie die EU an der Sitzung teil. Sie lobten die Schweiz für die Durchführung der Bürgenstock-Konferenz. Von den dort angeblich erörterten idées différentes und solutions possibles war in der Debatte nichts zu vernehmen. China, auf dem Bürgenstock nicht vertreten, warb für seinen mit Brasilien vorgestellten 6-Punkte-Plan. Die Staaten, die die Schlusserklärung nicht unterzeichneten (unter anderem Brasilien, Indien, Mexiko, Saudiarabien, Südafrika) nahmen an der Debatte nicht teil.

Sudan: Die Bürgerkriegskatastrophe in Sudan schafft eine drohende Hungersnot in 41 “Hungerzonen” (hunger hot spots) und reisst das Land in eine “Spirale zum Chaos”: Die Vertreterin des UNO-Nothilfebüros schilderte dem Rat das Drama, das sich im Schatten der Kriege in Gaza und in der Ukraine abspielt. Verhandlungsversuche laufen ins Leere. Mehrere Staaten beklagten die “Einmischung von aussen”. Der Vertreter der sudanesischen Regierung -  eine der Bürgerkriegsparteien – warf den Vereinigten Arabischen Emiraten vor, die Rapid Support Forces – Nachfolger der arabischen Janjaweed-Milizen und die andere Seite im Bürgerkrieg – zu unterstützen. Die Schweiz forderte Einhaltung des humanitären Völkerrechts ("eine Pflicht”) und der bestehenden Waffenembargos. Im Anschluss traten die für “Frieden, Frauen, Sicherheit” engagierten Ratsmitglieder vor das UNO-Pressemikrophon, um ein Ende der sexuellen Gewalt gegen Frauen und die Beteiligung von Frauen an den Vermittlungsversuchen zu fordern.

Libyen: Die Bemühungen um eine politische Bewältigung der Spaltung des Landes in rivalisierende Machtzentren drehen sich im Kreis, aber die UNO-Vertreterin stellte die  angelaufene Registrierung der Wählerschaft für in diesem Jahr geplanten Gemeindewahlen als Lichtblick dar. Die Schweiz stimmte mit ein: «Wichtiger erster Schritt”. Sie wies auf willkürliche Verhaftungen in Libyen hin und forderte die Freilassung dieser Gefangenen.

Cybersicherheit: In einer  ganztägigen, von mehreren Dutzend Staaten benutzten Debatte, forderte der UNO-Generalsekretär, dass “der Rechtsstaat in der digitalen Sphäre ebenso gelten muss wie in der physischen Welt”. Die mit warp speed laufende Entwicklung in der Cybersphäre biete sowohl Chancen als auch Gefahren. Staaten und Staatliche Institutionen könnten nicht mithalten. Mehrere Staaten schilderten Cyberangriffe, so Israel und Albanien von Seiten Irans, Südkorea von seiten Nordkoreas. Die Schweiz zeigte sich besorgt. Sie schlug vor, der Rat solle sich regelmassig über die neuesten Entwicklungen aufdatieren lassen, womit sie eine Forderung wiederholte, die in einer gemeinsamen Presseerklärung von 63 Staaten erhoben wurde. Liechtenstein schlug vor, dass der Internationale Strafgerichtshof gegen Cyberangriffe ermitteln und Anklage erheben kann.

Sahel: Eine von Sierra Leone organisierte informelle Debatte war dem islamistischen Terrorismus in Westafrika und dem Sahel-Gebiet gewidmet. Dort hat sich das politische und militärische Koordinatensystem nach Militärputschen in Burkina Faso, Mali und Niger geändert. Frankreich musste seine militärischen “Antiterroroperationen” dort  beenden, die UNO wurde aus Mali herauskomplimentiert, eine zwischen den drei genannten Staaten sowie Tschad und Mauretanien organisierte gemeinsame Streitmacht Group of Five  ist aufgelöst. Die Schweiz erklärte, ein erfolgreicher Kampf gegen den “gewalttätigen Extremismus” müsse “die Nöte angehen, welche diese Gruppen ausbeuten, notamment l'absence de perspectives économiques, la marginalisation, les faiblesses de gouvernance ou les violations systémiques des droits humains y compris les violences sexuelles et basées sur le genre.“

Afghanistan: Auf Einladung der UNO treffen sich in Kürze Mitgliedsstaaten und Vertreter des Taliban-Regimes. Thema ist die Fortführung der humanitären Hilfe (die Hälfte der Bevölkerung ist darauf angewiesen, 3 Millionen Kinder haben nach UNO-Angaben «akuten» Hunger), Kein Thema sind die Menschenrechte und die weltweit einzigartige Diskriminierung von Frauen und Mädchen im Gottesstaat (Keine Schulbildung nach der Primarschule, Arbeitsverbote). Die einzige Redefreiheit ist das Lob des Allmächtigen. Die UNO-Vertreterin beteuerte, der Dialog von Doha bedeute keine Anerkennung des Taliban-Regimes: «Solches Engagement ist weder Legitimierung noch Normalisierung». China hofft, dass «ein neues Kapitel aufgeschlagen» wird. Die Schweiz forderte, «Vertreter der Zivilgesellschaft» an den Gesprächen zu beteiligen und «angemessenen Raum» für die Menschenrechte anzusetzen, «insbesondere jenen der Frauen und Mädchen».

Haiti: Seit Oktober 2023 wäre eine internationale Polizeitruppe autorisiert, der kollabierten Sicherheitskräften in Haiti unter die Arme zu greifen. Kenya hat sich bereiterklärt, die Führung zu übernehmen, kriegt es aber nicht auf die Reihe. Die Herrschaft der Verbrecherbanden (gangs) schlägt Wurzeln. Hinter geschlossenen Türen hat der Rat sich über die verfahrene Lage unterrichten lassen.

 

 

 

 

 
Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat – KW 23-2024

von jaeschlimann | June 2024
Themen der Woche: Ukraine, Neumitglieder, Nordkorea, UNO-Ermittlungen zum «Islamischen Staat»