Veranstaltungsbericht

Schweiz und EU: Eine Beziehung auf dem Prüfstand

von Leo Hurni | July 2024
Ist die Schweiz auf dem richtigen Kurs mit ihren Verhandlungen über die Bilateralen III? Der Politikwissenschaftler Gilbert Casasus bevorzugt einen Beitritt zur EU. Die Präsentation seines Buches "Suisse – Europe, je t'aime moi non plus" in Bern bot Stoff  für eine intensive Diskussion über die Zukunft der schweizerisch-europäischen Beziehungen.

Gilbert Casasus, Politikwissenschaftler, emerierter Professor für Europastudien an der Universität Fribourg und SGA-Mitglied hat am 18. Juni 2024 im Polit-Forum Bern sein Buch "Suisse – Europe, je t'aime moi non plus" vorgestellt, das sich der komplexen Beziehung zwischen der Schweiz und der Europäischen Union widmet. Die Veranstaltung, von der SGA mitorganisiert, bot eine tiefgehende Analyse der bilateralen Beziehungen, die seit über zwei Jahrzehnten die politische Landschaft der Schweiz prägen. Casasus' Werk beleuchtet die Herausforderungen und Chancen, die sich aus der einzigartigen Position der Schweiz in Europa ergeben, und regt zu einer kritischen Reflexion über die Zukunft dieser Partnerschaft an.

Eröffnet wurde der Abend von Stephanie Schüpbach, der stellvertretenden Geschäftsleiterin des Polit-Forums, mit kritischen Fragen zu der Demokratie, in der wir leben. Wer ist beteiligt an der Demokratie? Wie kommen Themen auf den Tisch? Wie entscheiden wir gemeinsam in einer Demokratie? Fragen, die nicht nur zur aktuellen Ausstellung im Polit-Forum unter dem Titel «SchwEUz» passen, sondern auch zu Casasus neuem Buch. Dieser legte die Situation dann auch mit einer einfachen Analogie deutlich dar: Zwischen der EU und der Schweiz läge ein Meer. Es gehe nicht nur darum, beide Seiten zu kennen, sondern auch das Wasser dazwischen. Mit diesem Bild leitete Casasus bereits zu einer seiner in seinem Buch ausgeführte Hauptthese: zwischen den beiden Parteien fehlt es an Verständnis. Um die Situation der Schweiz besser zu verstehen, müsse man die Geschichte der Schweiz und ihre Fehler, wie etwa die EWR-Abstimmung von 1992, besser kennen.

Ungleiche Machtverhältnisse


Moderiert wurde der Abend von der Studentin Darleen Pfister. Diese hakte bei Casasus auch gleich ein: «Was ist denn Europa für Sie?». Damit legte sie wichtige Grundpfeiler in Casasus’ Verständnis offen: Europa sei ein Kontinent des Krieges, die EU eine Idee des Friedens. Das habe weitgehend auch funktioniert, so Casasus. Doch gäbe es auch Probleme. So sei Europa ein rationaler Prozess, aber damit das Projekt funktioniere, sei eine gewisse Irrationalität, ein Gefühl der gemeinsamen Identität notwendig, argumentierte der Autor.  Ebenso kritisch sieht er die Erweiterungsprozesse der EU im Osten. Es brauche viel mehr eine Vertiefung der Beziehungen, die dann eine Erweiterung erleichtern würde, und nicht umgekehrt. Was die Schweiz anbelangt, plädiert der Autor für einen Beitritt der Schweiz in die EU. Mit diesen Thesen war Platz für viel Diskussion vorprogrammiert.

Der Raum im Käfigturm in Bern war gut gefüllt. Bereits während der Präsentation des Autors entwickelte sich eine lebhafte und tiefgreifende Diskussion über die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zeigten sowohl Kritik als auch Interesse und stellten zahlreiche Fragen, die die Komplexität des Themas widerspiegelten. «Sind die Verhandlungen mit der EU nicht bilateral?».  Nein, denn bilateral bedeute auf gleicher Augenhöhe, so Casasus. Das sei die Schweiz in diesem Fall nicht. Die Verhandlungen fänden zwar formal zwischen zwei Parteien statt, die Machtverhältnisse seien jedoch ungleich. Die EU als grösserer Partner habe oft mehr Gewicht in den Gesprächen, was die Bezeichnung "bilateral" im eigentlichen Sinne in Frage stelle. Diese Antwort löste wiederum eine angeregte Debatte über die tatsächliche Position der Schweiz in ihren Beziehungen zur EU aus. Die Diskussion berührte Themen wie Souveränität, wirtschaftliche Abhängigkeiten und Subsidiarität. Dabei gab es durchaus auch Kritik an Casasus klarer Meinung, etwa zu den finanziellen Aspekten einer EU-Mitgliedschaft. Für ihn ist  klar, dass die Mitbestimmung auf dem europäischen Parkett deutlich wichtiger ist als die Kohäsionsmilliarden. Aber ein Gast fragte: «Will ich als Schweiz viel zahlen, um ein kleines Rad zu sein, oder nichts zahlen und kein Rad sein?».

Selbstbewusst für EU-Beitritt

Gilbert Casasus präsentierte an diesem Abend eine selbstbewusste Verteidigung des EU-Beitritts der Schweiz. Seine Argumente für eine engere Integration stiessen auf ein geteiltes Echo im Publikum. Die Debatte zeigte deutlich die verschiedenen Standpunkte innerhalb der Schweizer Gesellschaft zu diesem kontroversen Thema. Sie endete mit dem gemeinsamen Nenner, dass die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU zwar komplex bleibt, aber der offene Dialog der Schlüssel zu gegenseitigem Verständnis ist. Diskussionen wie diese und Bücher wie jenes von Casasus leisten zweifellos einen Beitrag zur fortlaufenden Debatte über die Zukunft der schweizerisch-europäischen Beziehungen.